42. Produktive Arbeit und Erwerbstätigkeit sind zentrale Elemente der Entwicklung und entscheidende Faktoren des menschlichen Selbstverständnisses. Ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum und eine bestandfähige Entwicklung sowie die Schaffung produktiver Beschäftigungsmöglichkeiten sollen Hand in Hand gehen. Vollbeschäftigung bei ausreichender und angemessener Entlohnung ist eine wirksame Methode zur Bekämpfung der Armut und zur Förderung der sozialen Integration. Für die Erreichung des Ziels der Vollbeschäftigung ist es notwendig, daß der Staat, die Sozialpartner und alle anderen Teile der bürgerlichen Gesellschaft auf allen Ebenen zusammenarbeiten, um Bedingungen zu schaffen, die es jedem ermöglichen, an produktiver Arbeit teilzuhaben und Nutzen daraus zu ziehen. In einer Welt zunehmender Globalisierung und Interdependenz zwischen den Ländern müssen die einzelstaatlichen Anstrengungen durch internationale Zusammenarbeit untermauert werden.
43. Globalisierung und rascher technologischer Fortschritt führen zu größerer Mobilität der Arbeitskräfte und bringen neue Beschäftigungsmöglichkeiten, aber auch neue Unsicherheiten mit sich. Es ist eine Zunahme atypischer Beschäftigungsformen zu verzeichnen, wie Teilzeit- oder Gelegenheitsarbeit u.ä. Ein solches Umfeld erfordert nicht nur die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten in noch nie dagewesenem Umfang, sondern auch umfangreichere Anstrengungen zur besseren Erschließung der Humanressourcen zugunsten einer bestandfähigen Entwicklung, unter anderem durch die Verbesserung des Wissens und der Kenntnisse, die die Menschen, insbesondere Frauen und Jugendliche, brauchen, um produktiv tätig zu sein und sich den sich wandelnden Anforderungen anpassen zu können.
44. In vielen entwickelten Ländern entstehen derzeit viele Arbeitsplätze in kleinen und mittleren Unternehmen und durch selbständige Erwerbstätigkeit. In vielen Entwicklungsländern ist der informelle Sektor häufig die wichtigste Quelle von Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen, die nur begrenzten Zugang zu einer Erwerbstätigkeit im formellen Sektor haben, insbesondere für Frauen. Die Beseitigung der Hindernisse für den Betrieb solcher Unternehmen und die Förderung ihrer Schaffung und Expansion muß einhergehen mit dem Schutz der Grundrechte, der Gesundheit und der Sicherheit der Arbeiter und der fortschreitenden Verbesserung der allgemeinen Arbeitsbedingungen sowie mit verstärkten Anstrengungen, einige dieser Unternehmen in den formellen Sektor zu integrieren.
45. Obgleich eine Erweiterung der Beschäftigungsmöglichkeiten allen Gruppen zugute kommt, sind geeignete Maßnahmen erforderlich, um besonderen Bedürfnissen und sich wandelnden demographischen Strukturen und Tendenzen Rechnung zu tragen. In allen Bereichen der Beschäftigungspolitik sind besondere Anstrengungen seitens des öffentlichen und privaten Sektors geboten, um die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Chancengleichheit und die Nichtdiskriminierung aufgrund der rassischen/ethnischen Zugehörigkeit, der Religion, des Alters, des Gesundheitszustands und der Behinderung sicherzustellen, unter voller Einhaltung der anwendbaren internationalen Rechtsinstrumente. Besondere Aufmerksamkeit muß außerdem den Bedürfnissen der in bezug auf ihren Zugang zum Arbeitsmarkt besonders benachteiligten Gruppen gelten, mit dem Ziel, ihre Eingliederung in das Erwerbsleben, unter anderem durch die Förderung wirksamer Unterstützungsmechanismen, sicherzustellen.
46. Ein großer Teil der unbezahlten produktiven Arbeit, wie die Betreuung von Kindern und älteren Menschen, die Erzeugung und Zubereitung von Nahrungsmitteln für die Familie, der Schutz der Umwelt und die karitative Hilfe für schwache und benachteiligte Einzelpersonen und Gruppen, ist für die Gesellschaft von großem Wert. In der ganzen Welt wird der Hauptanteil dieser Arbeit von Frauen geleistet, die häufig der Doppelbelastung von bezahlter und unbezahlter Arbeit ausgesetzt sind. Anstrengungen müssen unternommen werden, um die soziale und wirtschaftliche Bedeutung und den Wert der unbezahlten Arbeit anzuerkennen, die Verbindung dieser Form der Arbeit mit einer Erwerbstätigkeit zu erleichtern, durch flexible Arbeitsregelungen, die Unterstützung einer freiwilligen sozialen Betätigung, ja sogar die Erweiterung des Konzepts der produktiven Arbeit, und um dieser Arbeit soziale Anerkennung zu verschaffen, unter anderem auch dadurch, daß Methoden erarbeitet werden, die es gestatten, ihren Wert zu quantifizieren, damit sie in gesonderten Konten erfaßt werden kann, die jedoch mit den Kernkonten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen vereinbar sind.
47. Im Gesamtkontext der Förderung eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums und einer bestandfähigen Entwicklung gilt es daher dringend,
die Schaffung von Arbeitsplätzen in den Mittelpunkt der einzelstaatlichen Strategien und Politiken zu stellen, unter voller Mitwirkung der Arbeitgeber und der Gewerkschaften und anderer Teile der bürgerlichen Gesellschaft;
Politiken zur Vermehrung von Beschäftigungsmöglichkeiten und zur Steigerung der Produktivität sowohl im ländlichen als auch im städtischen Sektor zu erarbeiten;
Arbeitnehmer und Unternehmer durch eine entsprechende Unterweisung und Ausbildung in die Lage zu versetzen, sich wandelnden Technologien und Wirtschaftsbedingungen anzupassen;
hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen, unter voller Achtung der in den einschlägigen Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation und in anderen internationalen Rechtsinstrumenten niedergelegten Grundrechte der Arbeitnehmer;
bei der Erarbeitung von Politiken den Problemen der strukturellen und der Langzeitarbeitslosigkeit und der Unterbeschäftigung von Jugendlichen, Frauen, Behinderten und aller anderen benachteiligten Gruppen und Einzelpersonen besonderen Vorrang einzuräumen;
Frauen zur Selbstbestimmung zu befähigen, ihre gleichberechtigte Teilhabe an den Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen zu gewährleisten und bei der Ausarbeitung von Grundsatzpolitiken Analysen der jeweiligen Situation von Männern und Frauen einzubeziehen, um sicherzustellen, daß Frauen gleiche Beschäftigungsmöglichkeiten und Löhne erhalten und um eine harmonische und für beide Seiten förderliche Partnerschaft zwischen Frauen und Männern bei der gemeinsamen Wahrnehmung von Verantwortlichkeiten in Familie und Arbeitsleben zu fördern;
Mitglieder von schwachen und benachteiligten Gruppen insbesondere durch Bildung und Ausbildung zur Selbstbestimmung zu befähigen;
dafür Sorge zu tragen, daß Arbeit und Erwerbstätigkeit in stärkerem Maße anerkannt und besser verstanden werden, und die Arbeitszeitregelungen sowohl für Frauen als auch für Männer flexibler zu gestalten.
A. Die zentrale Bedeutung der Beschäftigung bei der Formulierung von Politiken
48. Um die produktive Beschäftigung in den Mittelpunkt der Strategien für eine bestandfähige Entwicklung und der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu stellen, ist es erforderlich:
a) aktive Politiken im Hinblick auf die Vollbeschäftigung und eine produktive, angemessen entlohnte und frei gewählte Beschäftigung zu fördern und zu verfolgen;
b) auf nationaler und internationaler Ebene Politiken Vorrang einzuräumen, die Lösungsmöglichkeiten für das Problem der Arbeitslosigkeit und der Unterbeschäftigung bieten.
49. Zur Minimierung der negativen Auswirkungen von makroökonomischen Stabilisierungsmaßnahmen auf die Arbeitsplätze ist es erforderlich:
a) die makroökonomischen Politiken so aufeinander abzustimmen, daß sie sich gegenseitig verstärken und zu einem breit angelegten, nachhaltigen Wirtschaftswachstum und einer bestandfähigen Entwicklung sowie weltweit zu einer erheblichen Steigerung der produktiven Beschäftigung und einem entsprechenden Rückgang der Arbeitslosigkeit führen;
b) bei notwendigen budgetären Anpassungsmaßnahmen denjenigen Programmen Vorrang einzuräumen, die am unmittelbarsten ein tragfähiges und langfristiges Wachstum der Arbeitsplätze fördern;
c) im Rahmen von Stabilisierungspolitiken strukturelle Hindernisse für wirtschaftliches Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu beseitigen;
d) durch die Entwicklung und Pflege von soliden Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Beziehungen sicherzustellen, daß konkurrierende Ressourcenansprüche auf nicht inflationstreibende Weise geregelt werden;
e) Informationen betreffend die Auswirkungen der Liberalisierung von Handel und Investitionen auf die Wirtschaft, insbesondere auf die Beschäftigung, zu überwachen, zu analysieren und zu verbreiten;
f) Informationen über verschiedene beschäftigungsfördernde Maßnahmen und ihre Wirkung auszutauschen und die Entwicklung globaler Beschäftigungstendenzen zu überwachen;
g) geeignete Mechanismen für die soziale Sicherheit zu schaffen, um die nachteiligen Auswirkungen von Strukturanpassungs-, Stabilisierungs- oder Reformprogrammen auf die Erwerbstätigen, insbesondere auf sozial schwache Personen, auf ein Mindestmaß zu beschränken, und für alle, die ihren Arbeitsplatz verlieren, die Voraussetzungen für die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu schaffen, unter anderem durch fortlaufende Weiterbildung und Umschulung.
50. Die Förderung von Formen des Wirtschaftswachstums, die die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten maximieren, erfordert:
a) gegebenenfalls die Förderung arbeitsintensiver Investitionen in die wirtschaftliche und soziale Infrastruktur, die sich der am Ort vorhandenen Ressourcen bedienen und die sowohl in ländlichen als auch in städtischen Gebieten auf kommunaler Ebene Vermögenswerte schaffen, erhalten und sanieren;
b) die Förderung technologischer Neuerungen sowie von Industriepolitiken, die geeignet sind, kurz- und langfristig die Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten zu stimulieren, und die ihre Auswirkungen auf schwache und benachteiligte Gruppen prüfen;
c) die Befähigung der Entwicklungsländer, gezielt geeignete Technologien auszuwählen;
d) die Gewährung technischer Hilfe und einen verstärkten Technologietransfer an die Entwicklungsländer, um sie in die Lage zu versetzen, ihre Technologie- und Beschäftigungspolitiken mit anderen sozialen Zielsetzungen zu integrieren und einzelstaatliche und lokale technische Einrichtungen zu schaffen beziehungsweise zu stärken;
e) in den Umbruchländern die Unterstützung der Durchführung von Programmen für eine Ausbildung am Arbeitsplatz, die den Arbeitskräften die Anpassung an marktorientierte Reformen erleichtern und die Massenarbeitslosigkeit abbauen helfen;
f) die Förderung einander gegenseitig stützender Verbesserungen in der landwirtschaftlichen und nichtlandwirtschaftlichen Produktion in ländlichen Gebieten, insbesondere in der Tierzucht, der Wald- und Fischereiwirtschaft und in den Industrien zur Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte, mit dem Ziel, eine umweltfreundliche, nachhaltige Wirtschaftstätigkeit und die produktive Beschäftigung im ländlichen Sektor auszuweiten und zu diversifizieren;
g) die Förderung von Gemeinschaftsstrategien für die wirtschaftliche Entwicklung, die auf Partnerschaft zwischen den Regierungen und den Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft beruhen, durch die Arbeitsplätze geschaffen werden und die auf die soziale Lage von Einzelpersonen, Familien und Gemeinwesen eingehen;
h) die Einführung rationeller Politiken zur Mobilisierung der Spartätigkeit und zur Stimulierung von Investitionen in kapitalarmen Gebieten;
i) die volle Ausschöpfung des sich aus der Agenda 21 ergebenden Potentials zur Schaffung von Arbeitsplätzen durch die Erhaltung und Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen, die Förderung alternativer Formen des Lebensunterhalts in fragilen Ökosystemen und die Sanierung und Regenerierung stark angegegriffener und schutzbedürftiger Gebiete und natürlicher Ressourcen;
j) die Förderung der Nutzung erneuerbarer Energiequellen mit Hilfe lokaler arbeitsplatzintensiver Ressourcen, insbesondere in ländlichen Gebieten.
51. Die Verbesserung der Möglichkeiten für die Gründung und das Wachstum von Privatunternehmen, durch die weitere Arbeitsplätze geschaffen werden könnten, erfordert:
a) die Beseitigung der Hindernisse, denen sich kleine und mittlere Unternehmen gegenübersehen, und die Liberalisierung der Regelungen, die die Privatinitiative unterdrücken;
b) die Erleichterung des Zugangs von kleinen und mittleren Unternehmen zu Darlehen, nationalen und internationalen Märkten, Führungskräfteausbildung und Technologieinformationen;
c) die Erleichterung von Abmachungen zwischen großen und kleinen Unternehmen, wie etwa Zulieferprogramme, unter voller Achtung der Rechte der Arbeitnehmer;
d) die Verbesserung der Möglichkeiten und Arbeitsbedingungen für Unternehmerinnen und Jungunternehmer, durch die Beseitigung der Diskriminierung beim Zugang zu Darlehen, Produktivressourcen und der sozialen Sicherung und durch die Bereitstellung beziehungsweise gegebenenfalls die Erweiterung von Sozialprogrammen für die Familie und sozialen Unterstützungsdiensten wie Gesundheitsfürsorge und Kinderbetreuung;
e) die Förderung, Unterstützung beziehungsweise Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen, welche die Entstehung von Genossenschaftsunternehmen begünstigen, und deren Anregung dazu, Kapital zu mobilisieren, innovative Darlehensprogramme zu entwickeln und die unternehmerische Initiative zu fördern;
f) die Unterstützung des informellen Sektors und der örtlichen Unternehmen dabei, ihre Produktivität zu steigern und sich nach und nach in die formelle Wirtschaft zu integrieren, durch Zugang zu erschwinglichen Krediten, Informationen, größeren Märkten, neuen Technologien und den entsprechenden technischen und Managementkenntnissen, durch Angebote zur Verbesserung dieser Kenntnisse und durch die Verbesserung der Geschäftsräumlichkeiten und der übrigen materiellen Infrastruktur, sowie durch eine immer umfassendere Anwendung von Arbeitsnormen und die Gewährung von sozialer Absicherung, ohne dadurch die Fähigkeit des informellen Sektors zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu zerstören;
g) die Förderung der Schaffung und des Ausbaus von unabhängigen Organisationen wie Handelskammern und anderen Verbänden oder Selbsthilfeeinrichtungen kleiner Unternehmen im formellen und informellen Sektor;
h) Erleichterung der Ausweitung der Ausbildungsangebote und der beschäftigungerzeugenden Möglichkeiten der Unternehmen.
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