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Bericht über die menschliche Entwicklung 1999



ÜBERBLICK

Globalisierung mit menschlichem Antlitz



„Der wirkliche Reichtum eines Staates sind seine Menschen. Ziel aller Entwicklung ist es, ein Umfeld zu schaffen, das die Menschen in die Lage versetzt, ein langes, gesundes und kreatives Leben zu führen. Diese einfache, aber machtvolle Wahrheit wird über dem Streben nach materiellem und finanziellem Wohlstand häufig vergessen." Dies sind die einleitenden Zeilen des ersten Berichtes über die menschliche Entwicklung, der 1990 veröffentlicht wurde. Der vorliegende zehnte Bericht über die menschliche Entwicklung handelt ebenso wie der erste und alle dazwischenliegenden von Menschen. In ihm geht es vor allem um die zunehmende wechselseitige Abhängigkeit der Menschen in der Welt von heute, die sich immer stärker globalisiert.

Globalisierung ist nichts Neues, aber die heutige Ära unterscheidet sich deutlich von früheren. Sie lässt Zeit und Raum schrumpfen und Grenzen wegfallen, daher werden die Verbindungen zwischen den Menschen enger, intensiver und direkter als je zuvor.

Auf den Devisenmärkten der Welt werden heute jeden Tag über 1,5 Billionen Dollar umgesetzt, und fast ein Fünftel der jährlich produzierten Güter und Dienstleistungen werden an Börsen gehandelt. Aber Globalisierung ist mehr als der Fluss von Geld und Waren: Sie ist der Ausdruck einer wachsenden Verflechtung zwischen den Menschen überall auf der Welt. Ferner ist Globalisierung ein Prozess, der sich nicht nur auf die Wirtschaft, sondern auch auf Kultur, Technologie und Ordnungspolitik erstreckt. Immer mehr Menschen treten miteinander in Verbindung und werden daher auch von Ereignissen in fernen Weltgegenden betroffen. Der Zusammenbruch der thailändischen Währung hat nicht nur Millionen Menschen in Südostasien arbeitslos gemacht, sondern einen Rückgang der globalen Nachfrage eingeleitet, mit dem Effekt der Einschränkung sozialer Dienste in Lateinamerika und einem plötzlichen Anstieg der Kosten für importierte Medikamente in Afrika.

Globalisierung ist nichts Neues, es gab sie schon im frühen 16. und im späten 19. Jahrhundert. Aber die heutige Ära unterscheidet sich von den früheren:

Globalisierung bietet enorme Chancen für menschlichen Fortschritt – aber nur bei stärkerer Steuerung

Die heutige Ära der Globalisierung eröffnet Millionen von Menschen rund um die Welt ganz neue Chancen. Verstärkter Handel, neue Technologien, Auslandsinvestitionen, erweiterte Medien- und Internet-Verbindungen – dies alles treibt das Wirtschaftswachstum und die menschliche Entwicklung voran. Es entsteht ein enormes Potential für die Überwindung der Armut im 21. Jahrhundert, für die Weiterführung der beispiellosen Fortschritte des 20. Jahrhunderts. Wir verfügen heute über mehr Wohlstand und Technologie – und mehr Engagement für eine Weltgemeinschaft – als je zuvor.

Globale Märkte, globale Technologie, globale Ideen und globale Solidarität können das Leben der Menschen überall auf der Welt bereichern und ihre Wahlmöglichkeiten erweitern. Die wachsende Verflechtung des Lebens vieler Menschen erfordert Werte, die von allen geteilt werden, und die gemeinsame Verpflichtung auf das Ziel, menschliche Entwicklung für alle zu erreichen.

In den 90er Jahren, nach dem Ende des Kalten Krieges, ging die Einigung auf solche Werte schnell voran: in den UN-Konferenzen über Umwelt, Bevölkerung, soziale Entwicklung, Frauen und menschliches Siedlungswesen wurden Menschenrechte und Entwicklungsziele festgelegt.

Aber heute wird die Globalisierung durch die Expansion der Märkte und die Öffnung nationaler Grenzen für Handel, Kapital und Informationen so schnell vorangetrieben, dass die notwendige Ordnungspolitik und die Bewältigung der Auswirkungen auf die Menschen nicht Schritt halten können. Im Bereich von Normen, politischen Strategien und Institutionen für offene globale Märkte wurden mehr Fortschritte erzielt als für Menschen und ihre Rechte. Um dem moralischen Anspruch der Universalität gerecht zu werden, der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergelegt ist, ist ein neues Engagement erforderlich.

Wettbewerbsintensive Märkte sind vielleicht die beste Garantie für Effizienz, aber nicht notwendigerweise für Gerechtigkeit. Liberalisierung und Privatisierung können ein Schritt zu Märkten mit starkem Wettbewerb sein, aber sie sind keine Garantie dafür. Auch sind Märkte keineswegs die ultima ratio der menschlichen Entwicklung. Viele Aktivitäten und Güter, die für die menschliche Entwicklung von entscheidender Bedeutung sind, werden nicht vom Markt bereitgestellt – aber sie werden durch den globalen Wettbewerb einem immer stärkeren Druck ausgesetzt. Öffentliche Güter geraten unter Druck, weil Haushalte gekürzt werden, Fürsorgetätigkeit gerät zeitlich unter Druck und die Umwelt gerät unter Druck, weil es an Anreizen zu besonnenem Verhalten fehlt.

Wenn der Markt die sozialen und politischen Ergebnisse zu stark dominiert, führt dies zu einer ungleichen und ungerechten Verteilung der Chancen und Nutzen der Globalisierung. Dann konzentrieren sich Macht und Reichtum auf eine ausgesuchte Gruppe von Menschen, Staaten und Konzernen, während andere marginalisiert werden. Wenn der Markt außer Kontrolle gerät, führt Instabilität zur Überhitzung oder zum Zusammenbruch von Volkswirtschaften, wie etwa bei der Finanzkrise in Ostasien mit ihren weltweiten Auswirkungen, nämlich einem Rückgang des globalen Bruttosozialprodukts von schätzungsweise zwei Billionen Dollar im Zeitraum 1998-2000. Wenn das Gewinnstreben der Marktteilnehmer außer Kontrolle gerät, sind auch moralische Werte bedroht – dann wird der Respekt vor Gerechtigkeit und Menschenrechten geopfert.

Die Herausforderung der Globalisierung im neuen Jahrhundert besteht nicht darin, die Expansion der globalen Märkte zu stoppen. Sie besteht darin, Regeln und Institutionen für eine kraftvollere Steuerung zu entwickeln – auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene -, um die Vorteile des Wettbewerbs auf globalen Märkten zu erhalten, aber gleichzeitig genügend Raum für Dinge zu lassen, die für Menschen, Gemeinwesen und Umwelt wichtig sind. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Globalisierung den Menschen und nicht nur den Profiten nutzt. Die Globalisierung muss also geprägt sein durch:

Moral – weniger Verletzung von Menschenrechten, nicht mehr.

Gerechtigkeit – weniger Disparitäten innerhalb und zwischen Staaten, nicht mehr.

Einbeziehung – weniger Marginalisierung von Menschen und Ländern, nicht mehr.

Menschliche Sicherheit – weniger Instabilität in Gesellschaften und weniger Verletzbarkeit von Menschen, nicht mehr.

Nachhaltigkeit – weniger Umweltzerstörung, nicht mehr.

Entwicklung – weniger Armut und Entbehrungen, nicht mehr.

Die Teilhabe am Nutzen und an den Chancen der Globalisierung muss wesentlich breiter werden

Seit den 80er Jahren haben viele Länder die Chancen der ökonomischen und technischen Globalisierung genutzt. Zu den traditionellen Industrieländern kommen die neu industrialisierten ostasiatischen Tigerstaaten sowie Chile, die Dominikanische Republik, Indien, Mauritius, Polen, Türkei und viele andere, die Auslandsinvestitionen anziehen und sich den technologischen Fortschritt zunutze machen, und die so zu Akteuren auf den globalen Märkten werden. Ihre diversifizierten, auch Fertigerzeugnisse umfassenden Exporte erreichen ein Durchschnittswachstum von über 5% pro Jahr.

Das andere Extrem sind zahlreiche Länder, die von den expandierenden Märkten und der modernen Technologie kaum profitieren, wie etwa Madagaskar, Niger, die Russische Förderation, Tadschikistan und Venezuela.

Diese Länder werden immer stärker marginalisiert, was eigentlich paradox ist, denn viele unter ihnen sind stark „integriert": der Anteil der Exporte am BIP erreicht in Afrika südlich der Sahara fast 30%, verglichen mit 19% bei den OECD-Ländern. Aber diese Länder sind den Unwägbarkeiten der globalen Märkte ausgesetzt, auf denen die Preise für Rohstoffe das niedrigste Niveau seit 150 Jahren erreicht haben. Sie haben kaum ein Exportwachstum aufzuweisen und konnten praktisch keine Auslandsinvestitionen anziehen. Das Fazit lautet, dass die globalen Chancen heute ungleich verteilt sind – zwischen Ländern ebenso wie zwischen Menschen (Grafik 1).

Wenn keine stärkere Teilhabe an den globalen Chancen erreicht werden kann, dann wird sich das Negativwachstum der letzten Jahrzehnte fortsetzen. In über 80 Ländern sind die Pro-Kopf-Einkommen immer noch niedriger als vor zehn oder mehr Jahren. Während 40 Länder seit 1990 ein Durchschnittswachstum des Pro-Kopf-Einkommens von über 3% pro Jahr aufrechterhalten konnten, gingen in 55 Ländern, vor allem in Afrika südlich der Sahara sowie in Osteuropa und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), die Einkommen zurück.

Viele Menschen haben auch keinen Zugang zu Beschäftigungsmöglichkeiten. Weltweit entsteht ein immer stärker integrierter Arbeitsmarkt für hochqualifizierte Fachkräfte: Konzernmanager, Wissenschaftler, Entertainer und viele andere, die eine globale berufliche Elite bilden, gekennzeichnet durch hohe Mobilität und hohe Gehälter. Dagegen wird der Markt für ungelernte Arbeitskräfte durch nationale Barrieren stark eingeschränkt.

In vielen Ländern haben die Ungleichheiten seit dem Anfang der 80er Jahre zugenommen. In China ist eine Verschärfung der Kluft zwischen den exportorientierten Regionen der Küste und dem Landesinnern zu beobachten: in den Küstenprovinzen liegt der Index der menschlichen Armut knapp unter 20%, in der Binnenprovinz Guizhou erreicht er dagegen mehr als 50%. Die Länder Osteuropas und der GUS verzeichneten einige der höchsten Steigerungsraten des Gini-Koeffizienten, mit dem Einkommensungleichheiten gemessen werden. Auch OECD-Länder registrierten nach den 80er Jahren eine starke Zunahme der Ungleichheiten, vor allem Schweden, das Vereinigte Königreich und die Vereinigten Staaten.

Auch zwischen den Ländern hat die Ungleichheit zugenommen. Die Einkommensschere zwischen dem Fünftel der Weltbevölkerung, das in den reichsten Ländern lebt, und dem Fünftel in den ärmsten Ländern lag 1997 bei 74 : 1, während sie 1990 nur 60 : 1 und 1930 gar nur 30 : 1 betragen hatte. Auch in den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts stieg in einer Ära rascher globaler Integration die Ungleichheit rapide an: Das Einkommensgefälle zwischen den reichsten und den ärmsten Ländern stieg von 3 : 1 im Jahr 1820 auf 7 : 1 im Jahr 1870 und auf 11 zu eins im Jahr 1913.

Gegen Ende der 1990er Jahre entfielen auf das Fünftel der Weltbevölkerung, das in den Ländern mit dem höchsten Einkommen lebte:

Manche haben eine Annäherung dieser beiden Extreme vorhergesagt. Aber das letzte Jahrzehnt hat eher eine noch stärkere Konzentration von Einkommen, Ressourcen und Wohlstand auf bestimmte Personen, Konzerne und Länder gezeigt:

All diese Trends sind nicht etwa die unvermeidliche Konsequenz der globalen wirtschaftlichen Integration, aber sie sind den Bemühungen um globale Ordnungspolitik, die für eine bessere Verteilung der Nutzeffekte sorgen soll weit vorausgeeilt.

Globalisierung schafft neue Bedrohungen der menschlichen Sicherheit – in reichen ebenso wie in armen Ländern

Eine der Errungenschaften der letzten Dekaden war eine größere Sicherheit der Menschen in vielen Ländern: mehr politische Freiheit und Stabilität in Chile, Friede in Mittelamerika, sicherere Straßen in den Vereinigten Staaten. Aber in der globalisierten Welt, in der Raum und Zeit schrumpfen und Grenzen wegfallen, werden Menschen mit neuen Bedrohungen ihrer Sicherheit konfrontiert – plötzlichen und schmerzhaften Störungen ihres täglichen Lebens.

Finanzielle Volatilität und wirtschaftliche Unsicherheit. Die finanziellen Unruhen in Ostasien im Zeitraum 1997-99 machen die Risiken globaler Finanzmärkte deutlich. Die Netto-Kapitalzuflüsse nach Indonesien, der Republik Korea, Malaysia, den Philippinen und Thailand schnellten in den 90er Jahren in die Höhe und erreichten 1996 einen Wert von 93 Milliarden Dollar. Als ein Land nach dem andern von den Unruhen erfasst wurde, kehrte sich der Strom über Nacht um: 1997 wurden Abflüsse von 12 Milliarden Dollar verzeichnet. Der Swing belief sich auf 11% des BIP dieser Länder vor der Krise. Aus dieser Erfahrung müssen zwei wichtige Lehren gezogen werden.

Erstens: Die Auswirkungen auf die Menschen sind gravierend und werden selbst nach der wirtschaftlichen Erholung noch lange spürbar sein.

Die Anzahl der Firmenzusammenbrüche nahm zu. Gesundheits- und Bildungsbudgets gerieten unter Druck. Mehr als 13 Millionen Menschen verloren ihren Arbeitsplatz. Während einerseits die Preise für lebenswichtige Güter in die Höhe schnellten, sanken die Reallöhne drastisch, in Indonesien zum Beispiel um 40-60%. Die Konsequenzen sind aber noch tiefgreifender. Alle Länder berichten über den Zerfall von Sozialstrukturen, mit sozialen Unruhen, mehr Verbrechen und mehr Gewalt in den Familien.

Die Erholung, die sich anzubahnen scheint, ist in Korea am deutlichsten, in Indonesien am geringsten. Aber wenn sich auch bei Produktionszahlen, Zahlungsbilanzen, Zinssätzen und Inflationsraten Verbesserungen abzeichnen - die Menschen erholen sich nicht so schnell. Eine Untersuchung der Finanzkrisen in 80 Länder während der letzten Jahrzehnte zeigt, dass die Reallöhne im Durchschnitt drei Jahre brauchen, bis sie wieder ansteigen, und dass das Beschäftigungswachstum erst nach mehreren Jahren wieder das Niveau vor der Krise erreicht.

Zweitens: Finanzkrisen treten heute keineswegs mehr sporadisch und isoliert auf, sondern werden aufgrund der Ausbreitung und des Anwachsens globaler Kapitalströme immer häufiger. Sie sind das Ergebnis schneller Zu- und Abflüsse von kurzfristigem Kapital, und die Wahrscheinlichkeit solcher Krisen nimmt zu. Dies gilt vor allem dann, wenn keine gut ausgebauten nationalen Institutionen zur Regelung der Finanzmärkte vorhanden sind. Finanzkrisen gelten heute als system-immanente Erscheinungen globaler Kapitalmärkte. Kein Land ist für sich allein in der Lage, sich ihren unberechenbaren Launen zu entziehen, und nur durch globales Handeln können sie verhütet und bewältigt werden.

Unsicherheit von Arbeit und Einkommen. In armen wie in reichen Ländern führten Umstrukturierungen in Volkswirtschaften und Konzernen sowie der Abbau sozialer Sicherungssysteme zu stärkerer Unsicherheit bei Arbeitsplätzen und Einkommen. Der Druck des globalen Wettbewerbs veranlasste Länder und Arbeitgeber zu flexibleren Arbeitspolitiken, die die Arbeitsorganisation prekärer machten. Arbeitnehmer ohne Vertrag oder mit neuen, weniger sicheren Verträgen bilden in Chile 30%, in Kolumbien 39% aller Arbeitskräfte.

Frankreich, Deutschland, Großbritannien und andere Länder haben den Kündigungsschutz abgeschwächt. Fusionen und Übernahmen führten zu Umstrukturierungen in den betroffenen Unternehmen und zu Massenentlassungen. Trotz eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums ist die Arbeitslosigkeit in Europa nicht zurückgegangen: sie liegt seit einem Jahrzehnt bei 11% und betrifft 35 Millionen Menschen. In Lateinamerika sind durch Wirtschaftswachstum zwar Arbeitsplätze entstanden, aber 85% davon im informellen Sektor.

Unsicherheit im Gesundheitssektor. Mit der Zunahme des Reisens und der Migration breitete sich HIV/AIDS weiter aus. 1998 lebten über 33 Millionen Menschen mit HIV/AIDS, fast 6 Millionen wurden in jenem Jahr neu infiziert. Auch breitet sich die Seuche jetzt rasch auf neue Gebiete aus, wie etwa das ländliche Indien sowie Osteuropa und die GUS. Da 95% der Personen, die jeden Tag neu infiziert werden, in Entwicklungsländern leben, ist AIDS zu einer Krankheit der Armen geworden, die die Lebenserwartung erheblich reduziert und damit die Fortschritte der letzten Jahrzehnte wieder zunichte macht. Für neun Länder in Afrika wird bis 2010 ein Rückgang der Lebenserwartung um 17 Jahre prognostiziert, so dass sie wieder auf das Niveau der 60er Jahre zurückfallen.

Unsicherheit im kulturellen Bereich. Die Globalisierung eröffnet den Menschen den Zugang zur Kultur mit all ihrer Kreativität – und zu einem Austausch von Ideen und Wissen. Aber die neue Kultur, die durch die Expansion der Märkte verbreitet wird, gibt Anlass zur Sorge. Mahatma Gandhi brachte dies schon früher in diesem Jahrhundert sehr treffend zum Ausdruck: „Ich will nicht, dass mein Haus auf allen Seiten zugemauert ist und meine Fenster abgedichtet sind. Ich will, dass die Kulturen aller Länder frei wie der Wind durch mein Haus wehen. Aber ich weigere mich, von irgendeiner unter ihnen weggeweht zu werden." Der heutige Kulturtransfer ist unausgewogen, das ganze Schwergewicht liegt darauf, was die reichen Länder in die armen transportieren.

Die besonders dynamischen Sektoren der meisten fortschrittlichen Volkswirtschaften von heute bestehen aus „gewichtslosen" Gütern, bei denen der Materialanteil sehr gering und der Wissensanteil sehr hoch ist. Den größten Anteil an der Exportindustrie der Vereinigten Staaten haben nicht Flugzeuge oder Autos, sondern die Unterhaltungsbranche: 1997 spielten Hollywood-Filme weltweit mehr als 30 Milliarden Dollar ein.

Die Expansion der weltumspannenden Medien und der neuen Techniken der Satelliten-Kommunikation lassen ein mächtiges neues Medium mit globaler Reichweite entstehen. Diese Netzwerke bringen Hollywood in die entlegensten Dörfer: Die Anzahl der Fernsehgeräte pro 1000 Menschen hat sich zwischen 1980 und 1995 fast verdoppelt, von 121 auf 235. Mit der Ausbreitung weltbekannter Marken wie Nike oder Sony werden von Delhi über Warschau bis Rio de Janeiro neue soziale Standards gesetzt. Ein solcher Ansturm ausländischer Kultur kann die kulturelle Vielfalt gefährden und bei den Menschen die Furcht vor dem Verlust ihrer kulturellen Identität wecken. Hier ist eine Unterstützung der einheimischen und nationalen Kultur gefordert, damit diese neben der aus dem Ausland hereinfließenden Kultur bestehen und gedeihen kann.

Persönliche Unsicherheit. Kriminelle machen sich die Vorteile der Globalisierung zunutze. Deregulierte Kapitalmärkte, Fortschritte bei der Informations- und Kommunikationstechnologie und billigere Transporte ermöglichen einen schnelleren, einfacheren und weniger eingeschränkten Austausch, aber dies gilt eben nicht nur für medizinisches Wissen, sondern auch für Heroin, nicht nur für Bücher und Saatgut, sondern auch für schmutziges Geld und Waffen.

Illegaler Handel mit Drogen, Frauen, Waffen und gewaschenem Geld trägt zu Gewalt und Kriminalität bei, die auf der ganzen Welt Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung bedrohen. In Weissrussland stieg die Anzahl der Rauschgiftdelikte zwischen 1990 und 1997 von 4 auf 28 pro 100.000 Menschen, in Estland von 1 auf 8 pro 100.000. Der Waffenhandel fördert die Kriminalität auf den Straßen ebenso wie Bürgerkriege. Aus Angola und Mosambik werden Maschinengewehre in großen Mengen nach Südafrika geschafft. Der auf 7 Milliarden Dollar geschätzte Handel mit Mädchen und Frauen, die sexuell ausgebeutet werden – allein in Europa 500.000 pro Jahr – , stellt eine der abscheulichsten Verletzungen der Menschenrechte dar.

Das Internet ist ein einfach zu nutzendes Instrument für den Handel mit Drogen, Waffen und Frauen über Netzwerke, die praktisch nicht aufzuspüren sind. 1995 wurde der Anteil des illegalen Rauschgifthandels am gesamten Welthandel auf 8% geschätzt, höher als der Anteil des Handels mit Motorfahrzeugen oder Eisen und Stahl. Durch Geldwäsche – die nach Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) den Gegenwert von 2-5% des globalen BIP erreicht– werden die Spuren eines Verbrechens in Sekundenbruchteilen mit einem Mausklick unsichtbar gemacht.

Die Wurzel all dieser beunruhigenden Entwicklungen ist der wachsende Einfluss des organisierten Verbrechens, dessen Geschäfte auf einen Bruttowert von 1,5 Billionen Dollar pro Jahr geschätzt werden – eine Konkurrenz für die Wirtschaftsmacht multinationaler Konzerne. Globale kriminelle Gruppen verfügen über die Macht, Politiker, Unternehmer und Polizisten zu kriminalisieren; sie entwickeln leistungsfähige Netzwerke und vertiefen und erweitern ihren Einfluss überall.

Unsicherheit im Umweltbereich. Die chronische Schädigung der Umwelt – ein kaum beachteter Notstand unserer Zeit – bedroht Menschen auf der ganzen Welt und beeinträchtigt den Lebensunterhalt von mindestens einer halben Milliarde Menschen. Die Armen selbst schädigen ihre Umwelt, weil ihnen kaum etwas anderes übrig bleibt, aber auch das Konsumverhalten der Reichen ist mitverantwortlich. Die wachsenden Exporte von Fisch, Krabben, Papier und vielen anderen Produkten führen zu einer Erschöpfung der Bestände, zur Verringerung der Artenvielfalt und zur Dezimierung von Wäldern. Den größten Teil der Kosten tragen die Armen, obwohl es die Reichen der Welt sind, die am stärksten profitieren. 84% des weltweiten Papierverbrauchs entfallen auf das Fünftel der Weltbevölkerung, das in den reichsten Ländern lebt.

Politische und soziale Unsicherheit. In engem Zusammenhang mit vielen Formen der Unsicherheit steht der Anstieg sozialer Spannungen, die die politische Stabilität und den Zusammenhalt von Gemeinwesen bedrohen. Von 61 größeren bewaffneten Konflikten, die zwischen 1989 und 1998 ausgetragen wurden, waren nur drei Auseinandersetzungen zwischen Staaten – alle übrigen waren Bürgerkriege.

Die Globalisierung hat die typischen Merkmale von Konflikten verändert. Dabei spielt der globale Waffenhandel, der neue Akteure ins Spiel bringt und die Grenze zwischen politischen und geschäftlichen Interessen verwischt, eine wichtige Rolle. Im Machtvakuum der Ära nach dem Kalten Krieg begannen Rüstungsfirmen und Söldnerarmeen damit, Regierungen – und Konzernen – Ausbildung anzubieten. Diese angeheuerten Militärs, die sich nur ihrem zahlenden Auftraggeber verantwortlich fühlen, stellen eine gravierende Bedrohung der menschlichen Sicherheit dar.

Neue Informations- und Kommunikationstechniken treiben die Globalisierung voran - aber sie spalten die Welt in Vernetzte und Isolierte

Angesichts drastisch gesunkener Kommunikationskosten und leicht zu bedienender neuer Instrumente unterhalten sich immer mehr Menschen weltweit über Internet, Handy oder Fax. Das Internet erweist sich als das am schnellsten wachsende Kommunikationsinstrument, das es je gab: es wird damit gerechnet, dass die Anzahl der Nutzer, die 1998 bei über 140 Millionen lag, bis 2001 die 700-Millionen-Grenze überschreiten wird.

Kommunikationsnetzwerke können im Bildungs- und Gesundheitsbereich enorme Fortschritte bewirken. Sie können auch kleinere Akteure stärken. Stimmen von NRO, die früher ungehört blieben, halfen mit, die geheimgehaltenen OECD-Verhandlungen über das Multilaterale Investitions-Abkommen zu stoppen, forderten die Offenlegung der Geschäftspraktiken von Unternehmen und schufen Unterstützungsmöglichkeiten für Randgruppen. Für Kleinunternehmen, Regierungen armer Länder und für Akademiker und Spezialisten, die in entlegenen Gebieten leben, sind Betriebsgröße, Zeit und Entfernung kein Hindernis mehr.

Die Informations- und Kommunikationstechnologie kann auch zur Schnellspur für ein auf Wissen aufgebautes Wachstum werden. Beispiele hierfür sind Software-Exporte aus Indien, Computer-Dienste in Irland und die Datenverarbeitung in der östlichen Karibik.

Trotz seines Entwicklungspotentials wirft das Internet aber gravierende Fragen in puncto Zugang und Ausschluss auf. Wer war 1998 im Netz?

Diese Exklusivität schafft parallele Welten. Wer über Einkommen, Bildung und Verbindungen im wörtlichen Sinn verfügt, hat preiswerten und sofortigen Zugang zu Informationen. Die übrigen bleiben zurück, ihr Zugang ist ungewiss, langsam und teuer. Wenn die Menschen aus diesen beiden Welten miteinander leben und konkurrieren, sind die Vorteile der Netzanbindung so überwältigend, dass die Stimmen und Anliegen der marginalisierten und verarmten Menschen in der globalen Arena kein Gehör finden.

Diese Gefahr der Marginalisierung muss nicht unbedingt ein Grund zur Verzweiflung sein. Sie sollte vielmehr ein Anstoss sein, um folgendes zu erreichen:

Globale technische Durchbrüche bieten die Möglichkeit, menschlichen Fortschritt zu beschleunigen und Armut zu überwinden – aber nicht mit den heutigen Agenden

Liberalisierung, Privatisierung und Verschärfung der Rechte auf geistiges Eigentum geben den Weg für die neuen Technologien und ihren Einsatz vor. Aber Privatisierung und Konzentration von Technologie gehen zu weit. Konzerne legen Forschungsprogramme fest und sichern sich durch Patente die genaue Kontrolle über die Ergebnisse. Der Wettlauf um die Ansprüche auf geistiges Eigentum vollzieht sich nach den Regeln, die im WTO-Abkommen über „Handelsbezogene Aspekte der Rechte auf geistiges Eigentum" (TRIPS) festgelegt wurden.

Es besteht die Gefahr, dass dieses System von Eigentumsansprüchen, das das auf der Welt vorhandene Wissen kontrollieren will, arme Menschen und arme Länder marginalisiert:

Wir brauchen eine breitere Perspektive. Die Rechte auf geistiges Eigentum wurden 1986 zu einem Problem des multilateralen Handels, als es darum ging, gegen gefälschte Markenerzeugnisse vorzugehen. Heute reichen diese Rechte jedoch sehr viel weiter – bis zum Eigentum an Leben. Da Handel, Patente und Urheberrechte einen immer stärkeren, richtungsweisenden Einfluss auf die Technologie – und die Staaten – ausüben, geht es bei der Hinterfragung der heutigen Regelungen nicht nur um wirtschaftliche Aspekte. Es geht um die Bewahrung der Artenvielfalt, um die ethischen Aspekte von Patenten auf Leben, um die Sicherung des Zugangs zu Gesundheitsversorgung, um den Respekt vor den Eigentumsformen anderer Kulturen, um die Verhinderung einer sich vertiefenden technologischen Kluft zwischen der durch Wissen vorangetriebenen Weltwirtschaft und den Übrigen, die von ihr in den Schatten gestellt werden.

Unerbittlicher Druck des globalen Wettbewerbs auf die Fürsorge, das unsichtbare Herz der menschlichen Entwicklung

Fürsorgearbeit – Sorge für Kinder, Kranke und ältere Menschen, aber auch für uns alle, die wir von den Anforderungen des täglichen Lebens erschöpft sind – ist ein wichtiger Faktor für den Aufbau menschlicher Fähigkeiten. Sie ist aber auch ein Ziel an sich. Sie ist etwas ganz Besonderes – sie hegt und pflegt die Beziehungen zwischen Menschen, motiviert durch Liebe, Altruismus, Gegenseitigkeit und Vertrauen. Ohne ausreichende Fürsorge können Menschen nicht gedeihen. Ohne Aufmerksamkeit und Stimulierung kümmern Babies vor sich hin und können ihr volles Potential nicht entwickeln. Ohne Unterstützung durch ihre Familien lassen die Schulleistungen von Kindern nach.

Menschliche Unterstützung für andere ist nicht nur wichtig für den sozialen Zusammenhalt und eine starke Gemeinschaft, sondern auch für das Wirtschaftswachstum. Aber der Markt hält wenig Anreize und Belohnung hierfür bereit. Überall haben die Gesellschaften den Frauen einen großen Teil der Verantwortung für die Fürsorge aufgebürdet: Frauen verbringen zwei Drittel ihrer Arbeitszeit mit unbezahlten Tätigkeiten, Männer nur ein Viertel. In Fürsorgeberufen und als Hausangestellte sind hauptsächlich Frauen tätig. Familien, Staaten und Konzerne profitieren von den – bezahlten oder unbezahlten – Fürsorgetätigkeiten, die hauptsächlich von Frauen geleistet werden.

Aber der Wettbewerb auf den globalen Märkten verstärkt heute den Druck auf Zeit, Ressourcen und Anreize, die für die Erbringung von Fürsorgetätigkeiten zur Verfügung stehen. Der Anteil von Frauen am formellen Arbeitsmarkt wächst, aber dennoch tragen sie weiter die Hauptlast der Fürsorge: Frauen leisten nach wie vor viele Stunden unbezahlter Arbeit. In Bangladesch arbeiten Frauen in der Bekleidungsindustrie 56 Stunden pro Woche an ihrem bezahlten Arbeitsplatz und leisten weitere 31 Stunden unbezahlte Arbeit; damit kommen sie auf eine Wochenarbeitszeit von 87 Stunden, während es bei Männern 67 Stunden sind. Der Anteil von Männern an der unbezahlten Arbeit nimmt in Europa und anderen OECD-Ländern langsam zu, aber in den meisten Entwicklungsländern und in Osteuropa ist dies nicht der Fall.

Gleichzeitig reduzieren Haushaltszwänge das Angebot staatlicher Fürsorgedienste. Das Steueraufkommen sank in den armen Ländern von 18% des BIP zu Beginn der 80er Jahre auf 16% in den 90er Jahren. Die öffentlichen Dienstleistungen verschlechterten sich erheblich, verursacht durch ökonomischen Niedergang und Strukturanpassungsprogramme oder den Abbau staatlicher Dienste, vor allem in den Übergangswirtschaften Osteuropas und der GUS.

Auch die Entlohnung der Fürsorgearbeit geriet durch den globalen ökonomischen Wettbewerb unter Druck, weil sich das Lohngefälle zwischen den marktorientierten und den nicht marktorientierten Sektoren sowie zwischen den gelernten und ungelernten Arbeitskräften verschärfte.

Wie können die Gesellschaften neue Modell für die Gewährleistung von Fürsorge in der globalen Wirtschaft entwickeln? Das traditionelle Modell eines patriarchalischen Haushalts ist keine Lösung; es muss ein neuer Ansatz gefunden werden, der den Aspekt der Gleichstellung der Geschlechter mit einbezieht, um die Belastung durch Fürsorge und die Verantwortung für sie gerecht zu verteilen. Neue institutionelle Mechanismen, eine bessere staatliche Politik und ein sozialer Konsens sind erforderlich, um Anreize zu schaffen, damit Fürsorge sich lohnt und so ihre Verfügbarkeit und Qualität zu verbessern:

Jede Gesellschaft muss ihre eigenen Vorkehrungen treffen, die ihrer Geschichte und ihrer aktuellen Situation Rechnung tragen. Aber alle Gesellschaften müssen eine bessere Lösung finden. Und alle müssen sich nachdrücklich dazu verpflichten, Zeit und Ressourcen für die Fürsorge bereitzustellen und die menschlichen Beziehungen – Nährboden jeder menschlichen Entwicklung – zu hegen und zu pflegen.

Die nationalen politischen Strukturen und die Weltordnungspolitik müssen neu definiert werden – die menschliche Entwicklung und Gleichheit muss dabei im Mittelpunkt stehen.

Keiner dieser schädlichen Trends – die zunehmende Marginalisierung, die wachsende menschliche Unsicherheit, die wachsende Ungleichheit – ist unvermeidlich. Wenn in der Weltgemeinschaft der politische Wille und das Engagement vorhanden ist, können sie alle rückgängig gemacht werden. Mit Hilfe stärkerer politischer Strukturen – auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene – kann der Nutzen des Marktwettbewerbs mit klaren Regeln und Grenzen aufrechterhalten werden, und es können stärkere Maßnahmen ergriffen werden, um die Bedürfnisse menschlicher Entwicklung zu befriedigen.

Politische Strukturen bedeuten nicht einfach nur Staatsführung. Sie stellen den Rahmen dar, in Form von Regeln, Institutionen und etablierten Praktiken, die Grenzen setzen und Anreize für das Verhalten von Individuen, Organisationen und Unternehmen bieten. Ohne starke politische Strukturen könnten die Gefahren globaler Konflikte zu einer Realität des 21.Jahrhunderts werden – Handelskriege im Interesse einzelner Staaten und Unternehmen, unkontrollierte finanzielle Unstetigkeit, die zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen führt, ungezügeltes Verbrechen weltweit, das auch auf sichere Gebiete und Stadteile übergreift und zu Kriminalität in der Politik, der Wirtschaft und der Polizei führt.

Angesichts des Zusammenbruchs des ostasiatischen Marktes, des Übergreifens auf Brasilien, Rußland und andere Länder und einer immer noch drohenden weltweiten Rezession wird die Weltordnungspolitik noch einmal neu überprüft. Die gegenwärtige Debatte ist jedoch:

In der Debatte geht es auch nicht um die derzeitigen Schwächen, Ungleichgewichtigkeiten und Ungleichheiten in der Weltordnungspolitik, die, da sie sich ad hoc entwickelt hat, viele Lücken aufweist.

Kurz gesagt, sind stärkere politische Strukturen auf nationaler und globaler Ebene für das menschliche Wohlergehen und nicht für den Markt erforderlich.

Die Neudefinition politischer Strukturen für das 21.Jahrhundert muss auf der Grundlage eines starken Engagements erfolgen:

Der Aktionsplan zur Gewährleistung der menschlichen Sicherheit in dieser Ära der Globalisierung sollte sich auf sieben zentrale Herausforderungen konzentrieren. Für jede von ihnen sind nationale und internationale Maßnahmen erforderlich.

1. Politische Strategien und Maßnahmen für menschliche Entwicklung stärken und sie den neuen Realitäten der Weltwirtschaft anpassen.

Die Sozialpolitik und die nationalen politischen Strukturen sind heutzutage sogar noch relevanter, damit die Globalisierung auch im Sinne menschlicher Entwicklung funktioniert, und, um die Menschen vor den neuen Bedrohungen, die mit der Globalisierung einhergehen, zu schützen. Neue politische Ansätze sind erforderlich für den Umgang mit:

Alle Länder müssen ihre Sozialpolitik neu überdenken – im Sinne von Umverteilung, von sozialen Netzen und allgemeiner Bereitstellung sozialer Dienstleistungen. Die gegenwärtige Debatte dreht sich um die Wahl zwischen einem gezielten, mit möglichst wenig Kosten verbundenen Ansatz, wie beispielsweise in Ländern wie Großbritannien und den Vereinigten Staaten, und einem universelleren Ansatz, wie in den nordischen Ländern und einigen europäischen Ländern auf dem Kontinent. Welcher Ansatz ist für die Entwicklungsländer geeignet? Ein Ansatz, der menschliche Entwicklung und Armutsbekämpfung mit sozialem Schutz kombiniert.

2. Die Bedrohungen der finanziellen Unstetigkeit – der Auf- und Abschwünge der Wirtschaft – und all die menschlichen Kosten, die sie verursachen, verringern

Die finanzielle Krise in Ostasien im letzten Jahr warf ein Schlaglicht auf die Unzulänglichkeiten der nationalen und globalen politischen Strukturen im Umgang mit der wirtschaftlichen und finanziellen Integration. Die "Big Players" dominieren die Finanzmärkte – angefangen mit den Vereinigten Staaten über Brasilien bis hin zu China. Aber alle Länder sind von den Auf- und Abschwüngen der Weltwirtschaft betroffen – von Südafrika bis zur Demokratischen Volksrepublik Laos – insbesondere, wenn sie ihre Märkte geöffnet haben. Die Länder selbst müssen mit ihrer Verwundbarkeit solchen Auf- und Abschwüngen gegenüber fertig werden, es sind jedoch Maßnahmen auf internationaler Ebene erforderlich, um mit der finanziellen Instabilität umzugehen bzw. sie zu verhindern. Politische Maßnahmen sollten sich konzentrieren auf

3. Stärkere internationale Maßnahmen gegen die Bedrohung der menschlichen Sicherheit weltweit ergreifen

Eine stärkere Zusammenarbeit und stärkere Maßnahmen weltweit sind erforderlich, um die wachsenden Probleme anzugehen, die die Regierungen der einzelnen Staaten nicht mehr allein bewältigen können.

4. Verstärkte öffentliche Maßnahmen zur Entwicklung von Technologien für die menschliche Entwicklung und zur Armutsbekämpfung ergreifen

Das Potential neuer Technologien für menschliche Entwicklung und Armutsbekämpfung muss erschlossen werden.

5. Die Marginalisierung armer, kleiner Länder wieder rückgängig machen

Vor fast 30 Jahren begann die Pearson-Kommission ihren Bericht mit dem Eingeständnis, dass "die immer größer werdende Kluft zwischen den Industrie- und den Entwicklungsländern zum zentralen Problem unserer Zeit geworden ist." In den letzten drei Jahrzehnten jedoch hat sich die Kluft zwischen dem Einkommen des reichsten und ärmsten Fünftels der Weltbevölkerung mehr als verdoppelt und liegt inzwischen bei 74 zu 1. Und mit dieser Kluft gehen die Migration, der ökologische Druck, Konflikte, Instabilität und andere Probleme, die auf Armut und Ungleichheit beruhen, einher.

Die Kluft zwischen reich und arm und die Extreme zwischen den Ländern zu verringern, sollte ausdrücklich als globales Ziel formuliert werden. Die Umsetzung sollte vom ECOSOC und den Bretton Woods-Institutionen rigoros überwacht werden. Dadurch würden die Ziele der Armutsbekämpfung und des sozialen Fortschritts, auf die man sich auf den Weltkonferenzen der neunziger Jahre geeinigt hat, ergänzt.

Mit Maßnahmen kann auf nationaler Ebene begonnen werden. Alle Länder brauchen eine starke, kohärente Politik, damit sie ihre Integration in die sich rasch wandelnde Weltwirtschaft betreiben können:

Für arme und kleine Länder kann ein gemeinsames Handeln von Nutzen sein, mit dem Ziel, Verhandlungen über geistige Eigentumsrechte mit solchen über Kohlendioxid-Emissionsrechte zu verbinden – und der Schutz von Umweltressourcen, wie zum Beispiel Regenwäldern, könnte mit Verhandlungen über Handel, Schulden und Investitionen gekoppelt werden. Sie können bei Verhandlungen auch profitieren, wenn sie Ressourcen für Politikanalyse gemeinsam nutzen und gemeinsame Verhandlungspositionen entwickeln. Gemeinsames Handeln auf regionaler Ebene ist ein erster Schritt in diese Richtung.

Stärkere internationale Maßnahmen sind erforderlich, um das Wachstum und die menschliche Entwicklung in den marginalisierten Ländern zu beschleunigen. Dazu muss die Abnahme der Zuflüsse offizieller Entwicklungshilfe (ODA), die seit 1992 um fast ein Fünftel gesunken ist, wieder rückgängig gemacht werden. Auch ohne eine Erhöhung der Mittel kann die ODA viel gezielter auf die bedürftigsten Länder und die Erfüllung der wichtigsten Ziele menschlicher Entwicklung ausgerichtet werden. Eine weitere Priorität besteht im Schuldenerlaß für die 41 hochverschuldeten Länder (HIPCs), deren Schuldendienstzahlungen sich 1996 auf 11,1 Milliarden US-Dollar beliefen, und deren Schuldenzahlungen zu einer Kürzung der Ausgaben für Bildung und Gesundheit geführt haben. Die HIPC-Initiative ist willkommen – aber ihre Erfolge sind zu gering und kommen zu spät. Sollte man nicht lieber die Obergrenze für die Schulden eines Landes von 200-250% der Exporte auf 100% oder weniger hinabsetzen? Und warum nicht den erforderlichen Zeitraum, innerhalb dessen ein Land die notwendigen Qualifikationsanforderungen erfüllen muß, von sechs Jahren auf drei Jahre (oder sogar eins) verkürzen?

6. Die Ungleichheiten in den Strukturen der Weltordnungspolitik durch neue Bemühungen ausgleichen, ein weniger exklusives System zu schaffen

Arme Länder und arme Menschen haben in den heutigen Foren, in denen die politischen Entscheidungen gefällt werden, wenig Einfluß und finden kaum Gehör. Das wichtigste und einflußreichste Forum ist die G-7, deren Mitglieder die Bretton Woods-Institutionen mittels ihrer Stimmrechte kontrollieren, und den UN-Sicherheitsrat, indem sie über drei von fünf ständigen Sitzen verfügen. Für die Entwicklungsländer gibt es kein mit der G-7 oder der OECD vergleichbares Forum – mit Finanzmitteln in vergleichbarer Höhe, Konsultation und politischer Koordination -, auch wenn es viele Bemühungen gegeben hat, gemeinsame Positionen der Dritten Welt mit Hilfe von Gremien wie der G-15, der G-24 und der G-77 zu entwickeln.

Vier Maßnahmen könnten rasch umgesetzt werden, um die Verhandlungsposition der armen und kleinen Länder zu stärken:

Das andere Extrem ist die Konzentration von Macht in reichen Ländern, Institutionen und Unternehmen – Macht, die noch nicht dazu genutzt wird, sicherzustellen, dass die Globalisierung auch für menschliche Entwicklung sorgt. Die Abstimmungsmechanismen der Bretton Woods-Organisationen müssen überarbeitet werden. Durch stärkere öffentliche Rechenschaftspflicht und mehr Transparenz würden ihre Maßnahmen demokratischer und ihre Glaubwürdigkeit würde gestärkt. Multinationale Konzerne beeinflussen das Leben und Wohlergehen von Milliarden Menschen, ihre Rechenschaftspflicht ist jedoch bisher auf ihre Aktionäre beschränkt, und ihr Einfluß auf die nationalen und internationalen politischen Entscheidungsprozesse findet hinter den Kulissen statt. Wenn sie in die Strukturen der Weltordnungspolitik eingebunden würden, würden ihre Positionen transparenter und ihre soziale Verantwortlichkeit würde einer größeren öffentlichen Rechenschaftspflicht unterzogen.

7. Eine kohärentere, demokratischere Architektur für die Weltordnungspolitik im 21.Jahrhundert aufbauen

Genauso wenig wie die Mechanismen nationalstaatlicher Regierung dazu geeignet waren, den Herausforderungen der Nachkriegszeit zu begegnen, sind die Institutionen der Weltordnungspolitik für die Herausforderungen des 21.Jahrhunderts geeignet. Viele der Grundelemente nationaler politischer Strukturen werden für eine robustere Struktur der Weltordnungspolitik erforderlich sein. Ein wesentlicher Aspekt der Weltordnungspolitik wie auch der nationalen politischen Strukturen ist die Verantwortung den Menschen gegenüber – für Gleichheit, Gerechtigkeit und für größere Chancen für alle.

Einige der wichtigsten Institutionen der Weltordnungspolitik, die im 21.Jahrhundert benötigt werden, sind zum Beispiel:

Auch bevor diese langfristigen Veränderungen in Angriff genommen werden oder umgesetzt sind, könnten schon in den nächsten ein bis drei Jahren viele Maßnahmen ergriffen werden:

Die Globalisierungswelle der letzten ein oder zwei Jahrzehnte ist nur der Anfang. Die global integrierte Welt wird stärkere politische Strukturen brauchen, wenn sie die Vorteile des weltweiten Marktwettbewerbs beibehalten und die Kräfte der Globalisierung für die Unterstützung menschlichen Fortschritts nutzen möchte.

Am Vorabend des Jahrtausends sind die Menschen ungewöhnlich offen für eine tiefgreifendere Diagnose, sie sind eher bereit, sie anzunehmen und ziehen bereitwilliger daraus Konsequenzen. Das Jahrtausend-Fieber stimuliert schon viele Gruppierungen, ihre Zukunftsvisionen zu entwerfen – für ihre Gemeinschaft, ihr Land und ihren Planeten. Die Zukunft der Weltordnungspolitik – Ziele, Institutionen, Verantwortlichkeiten und Maßnahmen – muss bei dieser Suche der Menschen überall miteinbezogen werden. Und die Milleniums-Generalversammlung der Vereinten Nationen ist ein internationales Forum, das einen kräftigen Anstoß bieten könnte, damit man mit der Agenda vorankommt.

Marginalien:

S. 8: Mit Hilfe stärkerer politischer Strukturen kann der Nutzen des Marktwettbewerbs mit klaren Regeln und Grenzen aufrechterhalten werden, und es können stärkere Maßnahmen ergriffen werden, um die Bedürfnisse menschlicher Entwicklung zu befriedigen

S. 9: Die Sozialpolitik und die nationalen politischen Strukturen sind heutzutage sogar noch relevanter, damit die Globalisierung auch im Sinne menschlicher Entwicklung funktioniert, und, um die Menschen vor den neuen Bedrohungen, die mit der Globalisierung einhergehen, zu schützen

S. 0: Eine stärkere Zusammenarbeit und stärkere Maßnahmen weltweit sind erforderlich, um die wachsenden Probleme anzugehen, die die Regierungen der einzelnen Staaten nicht mehr allein bewältigen können

S.11: Die Kluft zwischen reich und arm und die Extreme zwischen den Ländern zu verringern, sollte ausdrücklich als globales Ziel formuliert werden

S.12: Ein wesentlicher Aspekt der Weltordnungspolitik ist die Verantwortung den Menschen gegenüber – für Gleichheit, Gerechtigkeit und für größere Chancen für alle

S.13: Stärkere politische Strukturen sind erforderlich, um die Vorteile des weltweiten Marktwettbewerbs beizubehalten und die Kräfte der Globalisierung für die Unterstützung menschlichen Fortschritts zu nutzen

Team für die Ausarbeitung des

Berichtes über die menschliche Entwicklung 1999

Hauptkoordinator
Richard Jolly

UNDP Team
Leitung: Sakiko Fukuda-Parr
Stellvertr. Leitung: Selim Jahan
Mitglieder: Håkan Björkman, Sarah Burd-Sharps, Haishan Fu, Laura Mourino-Casas, Andreas Pfeil, Kate Raworth und Pablo Rodas,in Zusammenarbeit mit Özer Babakol, Marixie Mercado, Irina Nemirovsky, Guy Ranaivomanana, Nadia Rasheed und Tamahi Yamauchi.

Redaktion:Bruce Ross-Larson
Design: Gerald Quinn

Berater:
Adebayo Adedeji, Philip Alston, Galal Amin, Lourdes Arizpe, Isabella Bakker, Yusuf Bangura, David Bigman, Bob Deacon, Meghnad Desai, Nancy Folbre, Stephany Griffith-Jones, Gerry Helleiner, K.S. Jomo, Azizur Rahman Khan, Martin Khor Kok Peng, Jong-Wha Lee, Michael Lipton, Nguyuru Lipumba, Raisul Awal Mahmood, Ranjini Mazumdar, Süle Özler, Theodore Panayotou, Alejandro Ramirez, Mohan Rao, Changyong Rhee, Ewa Ruminska-Zimny, Arjun Sengupta, Victor Tokman, Albert Tuijnman und John Whalley

Überarbeitung des Index der menschlichen Entwicklung:
Sudhir Anand und Amartya Sen